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Von so weit her bis hier hin / von hier aus noch viel weiter, 2007/2008

Nannucci, Maurizio

Was die ästhetische Eloquenz seiner Lichtinstallationen betrifft, geht Maurizio Nannucci, verglichen mit Gloria Friedmann, ganz offensichtlich einen geradezu entgegengesetzten Weg. Wie in der Werbe-Industrie, aus der sie kommen, wirken die von ihm verwendeten farbigen Neonröhren zunächst als primär farb- zugleich formbeherrschte, gezielt Aufmerksamkeit suchende optische Sensationen. Dass sie meist an Orten installiert werden, an denen man üblicherweise weder Lichtwerbung noch Kunst erwartet, verstärkt diese Wirkung, doch bewirkt es zugleich jene durch eine divergierende kulturelle Prägung ausgelöste Irritation, die eine differenziertere Auseinandersetzung anregen kann und soll. Trotzdem bleibt erstaunlich, wie rasch Nannuccis Arbeiten sowohl an Neubauten als auch in gewachsenen Stadträumen oder an historischen Gebäuden im allgemeinen öffentlichen Bewusstsein nicht nur zu einem selbstverständlich akzeptierten Teil des Ganzen werden, sondern vielfach ein darüber weit hinaus reichendes Identifikationspotential entfalten.

Das trifft auch für seine Magdeburger Arbeit an der 2001 stillgelegten historischen Hubbrücke am ehemaligen Elbebahnhof zu. Die 1846/47 für die Eisenbahn ursprünglich als Drehbrücke erbaute Elbquerung, wurde 1933/34 zur Hubbrücke umgebaut und steht heute unter Denkmalschutz. Da sie nach der Zerstörung der Sternbrücke während des Zweiten Weltkrieges bis ins neue Jahrtausend hinein die letzte Möglichkeit im Süden der Stadt bot, die Elbe zu Fuß und nur zu Fuß zu überqueren, genießt sie in der Magdeburger Bevölkerung bis heute besondere Aufmerksamkeit.

Als ein Teil von Nannuccis Arbeit im Sommer 2012 durch Vandalismus zerstört worden war, herrschte in der Stadt nicht nur einhellige Empörung, sondern binnen weniger Tage konnten sogar mehrere Tausend Euro zusammengebracht werden, um die in Frage stehende Reparatur anzuschieben. Ein derart spontanes, rasch agierendes, positiv tatkräftiges Interesses an einem Werk zeitgenössischer Kunst verblüffte. Das hatte es in Magdeburg noch nicht gegeben. Das leuchtende Wortfeld, das ja nicht nur an einer Brücke montiert ist, sondern in den Stunden der Dunkelheit von der hellen Stadtseite eine magische Lichtbrücke über den Fluss hinüber zur ebenfalls leuchtenden Glasbekrönung des Albinmüller-Turms bildet, hatte sich bereits so nachhaltig in die städtische Identität eingeschrieben, dass ein Verlust nicht hinnehmbar schien.

Mauricio Nannucci, der von der Konkreten Poesie herkommt, spricht selbst davon, dass er mit seinen Licht-Arbeiten "Gedanken erleuchten" will. Das beschreibt den physikalischen Vorgang, ist natürlich aber vor allem metaphorisch gemeint. Überdies verquickt es sich auf schöne Weise mit umgangssprachlichen Redewendungen, etwa wenn man davon spricht, dass Worte den Sinn erhellen. Nannucci geht es also nicht um eine Botschaft, sondern das Ausleuchten eines meist durchaus widersprüchlichen Bedeutungsraums einzelner Worte oder Sätze. So ist auch der mit den Symbolfarben Rot und Blau über den dunklen Fluss geschriebene Satz nicht nur eine Hoffnungsformel, sondern auch ein Echo-Raum des Unbekannten, des Bedrohlichen oder gar der Verzweiflung.