Inhalt

Kinder und Jugendliche, in ihrer Überzahl aus Arbeiterfamilien eines typischen Dritte- Welt-Landes, welche eine relativ begrenzte Zukunft vor sich hätten, bilden das Ensemble der Studenten aus der Ballettschule des Bolshoi Thesters Brasilien, die sich am 21. Und 22. Juni in Magdeburg mit der Ersten Didaktischen Tanzvorführung, im Rahmen eines Festivals Internationaler Ballettschulen, präsentiert. Die Teilnahme an diesem Festival markiert den ersten internationalen Auftritt der Ballettschüler aus brasilianischen Gefilden, einzige Außenstelle dieser so reich an Traditionen russischer Ballettschule, welche in künstlerischer Qualität und sozialer Wiederherstellung die Tonika ihrer Wirksamkeit aufweist und so auf die Zarenzeit zurückgreift. Es ist das Land des Fußballs, welches der Welt seine Talente auf dem Ballettrasen preisgibt. Das Spektakel wird von einem Ensemble aus Schülern präsentiert, welche die Kunst der Bewegung in Begleitung des Pianisten Pavel Kazarian (russischer Gastprofessor in Brasilien) umsetzt, sowie einer Schauspielerin, die eine vom Schulteam konzipierte Tanzpräsentation und mit der Direktorin Fátima Ortiz ausgearbeiteten Dramaturgie, in spielerischer Weise inszeniert.
Das Spektakel wurde unter Beachtung der brasilianischen Realität geschaffen, in welcher Kunst und Ballett noch recht wenig am Alltag der Bevölkerung teilnimmt. Mit einem Mix aus Theater, Tanz und Musik wurde die Aufführung bereits von 50.000 Zuschauern aus verschiedenen Regionen Brasiliens besucht. Für ein Land kontinentaler Dimensionen und sozialer Ungleichheiten zeigte sich die Didaktische Vorführung als ein sehr wichtiges Instrument, welches anhand von Emotionen Informationen über das künstlerische Universum herbeischafft. Dies unter der Verbindung von Bühne und Alltag der Balletttänzer im Unterricht ist bei dieser Inszenierung spürbar, wodurch deren didaktischer Charakter verstärkt und die Bezauberung des Gelernten gezeigt wird.

Die Vorführung vermischt Übungen mit choreographischen Studien, in welchen Auszüge aus Balletten und Volkstänzen einbezogen sind und Teil der geschichtlichen Laufbahn des Tanzes darstellen. Kompositionen von Pjotr I. Tschaikowskij, Johann Sebastian Bach, Giovanni Lully, Leo Delibes sowie Aram Khatchaturian und weiteren Meistern sind im Soundtrack dieses Spektakels integriert, dessen Modelle im schuleigenen Atelier entwickelt wurden. In Theatern wie auch auf öffentlichen Plätzen stets für die Zuschauer kostenlos vorgeführt, demokratisiert diese Vorführung so den Zugang zur Kunst und stimuliert die Gewohnheiten kulturelle Veranstaltungen zu besuchen, was wiederum zu einer sozialen Einbeziehung führt und die Aufwertung von Kunst und Künstler zur Folge hat.
Die Erste Didaktische Vorführung hat zwei grundlegende Zielstellungen: erstens ein Zuschauerpublikum für die szenischen Künste heranzubilden und so die Kentnisse über Tanz und Musik eines Publikums zu erweitern, welches in seiner Mehrheit noch nie die Möglichkeit dazu hatte einer Ballettaufführung beizuwohnen und zweitens an der professionellen und künstlerischen Heranreifung der Schüler beizutragen. In der Vorführung ist die Disziplin, Vorbereitung und szenische Praxis der Schule integriert und es werden den Schülern so künstlerische und professionelle Erfahrungen und Heranreifen bereitgestellt. Die Aufführung in Deutschland für ein Publikum mit Tradition in Sachen Tanz und Musik ist sogleich auch eine neue Herausforderung für die Schüler, welche ausgebildet werden um zukünftig auf dem nationalen und internationalen Markt tätig zu sein.

Von Russland nach Brasilien
 
Die Moskauer Schule für Choreographie wurde im Jahre 1773 in einem Waisenheim gegründet. Die ersten Schüler waren bedürftige Kinder und Leibeigene, wodurch der ärmsten Bevölkerungsschicht des damaligen Russlands die Möglichkeit sozialen Aufstiegs gegeben wurde. Daraus entstand die Tanzgesellschaft und später das Bolshoi-Theater, eine Einrichtung, die leicht mit der Geschichte des Balletts selbst vermischt wird.
Joinville ist eine Stadt deutscher Kolonisation. Der erste Schwung an Immigranten stach vom Hamburger Hafen aus in See und erreichte im Jahre 1851 die Kolonie Dona Francisca. Über sechstausend Deutsche, Schweizer und Dänen ließen in den Folgejahren dieselbe Strecke hinter sich, wodurch Joinville, mit seinen 450.000 Einwohnern zugleich größte und bedeutendste Stadt des Bundeslandes Santa Catarina entstand. Und darin befindet sich seit dem 15. März 2000 die einzige ausländische Niederlassung des Bolshoi-Theaters. Brasilien erhielt den Vorzug vor anderen Ländern wie Japan und den Vereinigten Staaten, welche sich ebenfalls für eine Niederlassung beworben hatten. Mit russischen und brasilianischen Meistern bildet die Schule Ballettkünstler mit der selben technischen Genauigkeit und künstlerischen Kapazität aus, wie sie auch in Russland angewandt wird.

Die Niederlassung in Brasilien folgt in Sachen Kunst und dem sozialen Werk den Schritten der russischen Hauptniederlassung, da die künstlerische Ausbildung und die Heranbildung zu Bürgern im Unterricht präsent sind. Vom Gesamtteil der Schüler bekommen 86% ein integrales Stipendium, worin außer dem Unterricht auch Schulkleidung, Transport sowie medizinische Versorgung enthalten sind. Es sind Kinder aus sehr einfachen Elternhäusern, einige darunter in sozialer Hinsicht äußerst schwach, welche anhand der Kunst eine bessere Zukunft erobern. Die soziale Reichweite der Schule überrascht und kommt der gesamten Gemeinde zugute, besonders den ärmeren und weiter entfernt gelegenen Stadtteilen, woraus Kinder einer Realität entzogen werden, in welcher sie oftmals der Drogenwelt ausgesetzt sind und so in eine neue Realität eingefügt werden.
Die Escola de Teatro Bolshoi no Brasil ist eine Einrichtung ohne Gewinnabsichten und wird von Unternehmen mit sozialem Verantwortungsbewusstsein getragen, welche anhand von sozialkulturellen Projekten in die brasilianische Entwicklung und Qualifizierung investieren. Außer der technisch-pädagogischen Ausbildung bietet die Schule außerhalb des Lehrplans gelegene Aktivitäten, von denen die Schüler, ihre Familien und die Gemeinde im Allgemeinen begünstigt werden und welche sich durch ihre sozialen Ausmaße und des kulturellen Zugangs kennzeichnen. Das Institut Escola de Teatro Bolshoi no Brasil steht bereit um Investments aus internationalen Organismen zu empfangen, welche um die Förderung und die Entwicklung der sich im Wachstum befindlichen Länder bemüht sind. In Brasilien niedergelassene Unternehmen können bei Investitionen in Kultur mit steuerlichen Vergünstigungen rechnen.
    Die Escola Bolshoi protagonisiert eine Aktion, welche ein engagiertes und kompromittiertes Brasilien präsentiert, Möglichkeiten bietet, seine Potenziale entwickelt und für das Land eine neue Realität konstruiert.
18.06.2003