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Covid-19 oder Pest und Cholera: Pandemie-Geschichte in Magdeburg

Coronavirus Covid-19 – eine bislang wenig bekannte Infektionskrankheit versetzt viele Länder der Welt in Aufregung. Eine Pandemie. Doch Pandemien gibt es, seit es Menschen gibt. Auch Magdeburgs Stadtgeschichte kann von vielen Seuchenzügen berichten. Längst vergessen und schnell abgetan als Grauen vergangener Epochen, erscheinen sie dieser Tage wieder aktuell.

Der Leiter des Magdeburger Stadtarchivs, PD Dr. Christoph Volkmar, zieht Parallelen zwischen Magdeburgs Seuchen-Geschichte und der aktuellen Corona-Pandemie:

“Covid-19 bringt Gefahren zurück, vor denen wir uns sicher glaubten. Aber der Blick in die Stadtgeschichte stimmt mich sehr zuversichtlich: Mit Social Distancing haben die Magdeburger schon viele Seuchen besiegt.“

Die Pest – der schwarze Tod rafft ein Drittel Europas dahin

Sprichwörtlich geworden ist der Schwarze Tod. Dieser Pandemie fiel ab dem Jahr 1348 etwa ein Drittel der Menschen in Europa zum Opfer. Die große Pest erreichte Magdeburg erst spät, zu Pfingsten 1350. Wütete dann aber monatelang.

Der Autor der Magdeburger Schöppenchronik, Heinrich von Lammesspringe, ist ein Zeitzeuge. Er berichtet wie die Friedhöfe die Leichname nicht mehr fassen konnten. Vor der Stadt mussten Massengräber ausgehoben werden. Die Ereignisse stellten das Leben auf den Kopf. Seine Geschichten sind persönlich: In seinem Mietshaus überlebten von zehn Bewohnern nur zwei den Sommer 1350.

Weil sein Vorgänger an der Pest verstarb, erhielt der Geistliche die Chance, in jungen Jahren Schöffenschreiber zu werden. Das wichtige Amt an dem berühmten Gerichtshof lockte mit einem sicheren Einkommen als Priester am Heilig-Kreuz-Altar in der Petrikirche. Die Ereignisse aber ließen den jungen Mann nicht los. Er begann, seine Erlebnisse für die Magdeburger niederzuschreiben. Diese Chronik setzten seine Nachfolger bis ans Ende des Mittelalters fort.

Die Pest wütet über 300 Jahre in Magdeburg

In den folgenden Jahrhunderten wurde Magdeburg mehrfach von der Pest heimgesucht, zuletzt 1681. Damals verstarb fast ein Drittel der Einwohner an der Krankheit, darunter 1.380 Kinder. Damit verfolgte die Pest-Pandemie über 330 Jahre die Ottostadt. Der schwarze Tod gilt als die verheerendste Infektionskrankheit der Weltgeschichte.

Historischer Bildstich von Magdeburg mit Blick auf die Elbe
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© Stadtarchiv Magdeburg, Bildersammlung Nr. 3

Quarantäne und desinfizierende Chlorräucherung gegen Cholera

Weniger bekannt ist, dass Magdeburg vor fast 200 Jahren eine andere Seuche traf. Die Cholera war wie die Pest eine bakterielle Infektion. Sie wurde über die Handelswege aus Asien eingeschleppt. Akten des Stadtarchivs lassen minutiös nachverfolgen, wie sich die Krankheit ihren Weg bahnte. 2018 publizierte die Historikerin Julia Berretz ihre Forschungsergebnisse dazu im 30. Band des Jahrbuchs „Sachsen und Anhalt“.

Schutzmaßnahmen wie die Sperrung der Elbe für den Schiffsverkehr und eine Contumaz-Anstalt im Herrenkrug halfen nicht lange. Obwohl auch der Hafen am Petriförder unter Beobachtung war, erreichte die Seuche die dicht bevölkerten Gassen der Altstadt. Am 3. Oktober 1831 wurde der Ausbruch der Cholera offiziell bestätigt.

Ein Krisenstab unter Leitung des Oberbürgermeisters August Wilhelm Francke (1785–1851) teilte Altstadt, Neustadt und Sudenburg in 18 Beobachtungsreviere auf und ließ drei Lazarette einrichten. Bei Krankheitsfällen wurde zuerst das jeweilige Wohnhaus unter Quarantäne gestellt. Möbel und Betten wurden mit Chlor in einer Räucheranstalt auf dem Werder desinfiziert. Je nach Verlauf verblieb der Erkrankte in häuslicher Quarantäne oder wurde in mit Wachstuch verschlossenen Krankenkörben ins Lazarett gebracht.

Titelblatt der Magdeburgischen Zeitung vom 27.06.1831
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© Stadtarchiv Magdeburg, Rep. 64
Werbeanzeigen der historischen Magdeburgischen Zeitung von 1831
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© Stadtarchiv Magdeburg, Rep. 64
Anweisung zur Erhaltung der Gesundheit bei einer Cholera-Epidemie von 1831
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© Stadtarchiv Magdeburg, Rep. 7, C 53, Bl. 34
Flugblatt von 1832 mit einer Anleitung zur Vermeidung von Cholera
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© Stadtarchiv Magdeburg, Rep. 7, C 53, Bl. 274

Soziale Distanzierung bereits im frühen 19. Jahrhundert

Bereits in der Pandemie-Geschichte wurde kontrovers über die Einschränkungen für die Wirtschaft diskutiert. Große Veranstaltungen wie die Magdeburger Herbstmesse wurden abgesagt, das öffentliche Leben nicht völlig eingestellt. Die Schulen etwa blieben geöffnet. Nur Kindern aus Cholerahäusern wurde der Schulbesuch für mindestens 10 Tage untersagt.

Menschen versuchten sich vor einer Ansteckung zu schützen. Sie informierten sich über die Magdeburgische Zeitung, über Hinweistafeln und über Flugblätter. Per Zeitungsannonce wurden Wundermittel wie der „Cholera-Aquavit“ angeboten – ob diese helfen konnten, sei dahingestellt. Die „Draht-Luft-Fenster“ der Buckauer Wachstuchfabrik Friedrich Cuny versprachen immerhin ein gesundes Klima in Wohn- und Schlafräumen.

Die Medizin des frühen 19. Jahrhunderts konnte nur wenig für die Menschen tun. Doch die bereits damals praktizierte soziale Distanzierung zeigte durchaus Wirkung. Die Zahl der – festgestellten – Erkrankungen blieb im prozentual einstelligen Bereich. 375 Menschen starben an der Cholera. Viele Opfer, aber doch weniger als ein Prozent der etwa 45.000 Einwohner. Und noch im kalten Januar 1832 gelang es schließlich, die Krankheit zurückzudrängen. Nach 112 Tagen war die Cholera in Magdeburg Geschichte.