Werra und Saale, 1986
Dank des einleitend bereits erwähnten Engagements der Kustodin des Kulturhistorischen Museums, Sigrid Hinz, entwickelten sich von Magdeburg aus seit Ende der 1950er Jahre intensive Beziehungen zu namhaften deutschen Bildhauern. In der jüngeren Generation traf das in besonderer Weise auf Werner Stötzer zu. Im Zusammenhang mit den Arbeiten an seinem Portal für das Kloster Unser Lieben Frauen, das die Parallelität von Idyllen und Katstrophen zeigt, arbeitete er erstmals mit Wachs und es entstanden drei kleine Entwurfsfassungen unter dem Titel Werra, in deren Weiterentwicklung 1970/72 er dann eine Liegende (Die Werra) schuf, eine Auftragsarbeit der damals noch unter staatlicher Ägide arbeitenden Meininger Museen. Neben einer Kleinbronze zum Thema besitzt die Magdeburger Sammlung einen Betonguss, der auch in Bronze abgeformten lebensgroßen Figur.
Stötzers reifes Werk, das Mitte der 1960er Jahre zu wachsen beginnt und sich vor allem in der Steinskulptur ausbildet, konzentriert sich als Gegenstand fast ausschließlich auf den weiblichen Akt. Augenscheinlich werden zudem viele der figürlichen Grundsituationen sowie bestimmte thematische Angelpunkte, die einmal gefunden sind, im Lauf der Jahre mehrfach neu aufgesucht, variiert und umgedeutet. Das trifft auch für die Arbeiten zu, die der Bildhauer mit den Flussnamen Werra und Saale verbunden hat. Eine zweiteilige Skulptur aus Marmor etwa, nunmehr als Saale und Werra betitelt, erscheint 1995 in einer im Vergleich zur Magdeburger Arbeit völlig veränderten Gestalt. Wiederum taucht eine Figur in der Grundhaltung, wie Stötzer sie in der 1986er Bronze Rücken an Rücken variierend doppelt, schon 1973/74 in einer als Sitzende betitelten Sandsteinskulptur (Staatlichen Kunstsammlungen Dresden) auf. Wobei hier die Figur allerdings auf einem kleinen Kubus sitzt, vor dem das Bein, das bei der Magdeburger Bronze frei im Raum hängt, fest auf dem gedachten Boden steht.
Im Fall der beiden Flüsse, deren Namen Stötzer für seine diesbezüglichen Arbeiten heranzieht, besteht außerdem ein ansonsten in seinen Werken kaum nachzuweisender biografischer Hinter- oder besser Untergrund. In der Nähe von Sonneberg in Thüringen, wo Stötzer geboren wurde und bis zu seinem 19. Jahr lebte, befindet sich sowohl die Quelle der Werra als auch der Saale. Beide Flüsse fließen auf entgegengesetzten Flanken des Gebirges, doch in annähernd gleicher Richtung und verblüffend ähnlicher Gestalt, zu Tal. Diese natürliche Gegebenheit, so ist offensichtlich, lieferte dem Bildhauer die Idee, die er durch sein Figurenpaar ins Bildhauerische übersetzte. Es ist nicht als eine Art von Sinnbild oder Porträt, geschweige denn im Sinn einer klassischen Allegorie, misszuverstehen. Die Melancholie oder auch Trauer, die aus diesen Figuren zu sprechen scheint, spielt nicht auf ein Charakteristikum der beiden Flüsse oder die katastrophale Situation ihrer Verschmutzung an, der sie insbesondere durch Industrie und Bergbau ausgesetzt waren und zum Teil noch sind.
Was Stötzer als Bildhauer offensichtlich interessiert hat, war wohl jenes quasi Janus-Körperliche einer derartigen Doppelfigur, die Tragik ihres Nicht-Zueinander-Kommens, wenn man so will. Rücken an Rücken sitzend und dennoch getrennt. Was die Figuren bindet, ist die Spannung, die aus dem permanenten, auf und nieder fahrenden, Dialog ihrer Körper spricht. Man muss die Plastik langsam umrunden, um die Amplitude dieses Wider-Redens, das zwischen Fast-Einklang und höchster Erregtheit pendelt, zu bemerken. Die diffizilen Beziehungen der einzelnen Teile erzeugen Körper-Gebilde, die sowohl an Tektonisches als auch Landschaftliches gemahnen mögen. Dabei sorgen die verfremdenden Hinweise, die der Bildhauer durch die sichtbare, zuweilen tatsächlich befremdliche, Art und Weise ihres Gemacht-Seins gibt, immer wieder dafür, das dem Betrachter blinde Einfühlung verwehrt bleibt. Sie stellen den Kontrapost zu dem dar, was Waldemar Grzimek in Bezug auf Stötzers Arbeiten einmal als "Merkmale des Seelischen" bezeichnet hat, die diesen Werken inkarniert sind.
Über den Künstler
Werner Stötzer (geboren 2. April 1931 in Sonneberg; gestorben 22. Juli 2010 in Altlangsow) war ein deutscher Bildhauer und Zeichner. Er lebte und arbeitete in Altlangsow (Gemeinde Seelow) im Oderbruch.
LEBEN
Nach einer Ausbildung zum Keramikmodelleur an der Industriefachschule in Sonneberg studierte Werner Stötzer von 1949 bis 1951 an der Hochschule für Baukunst und Bildende Künste in Weimar bei Heinrich Domke, Hans van Breek und Siegfried Tschiersky. Aufgrund der Neuausrichtung der Hochschule setzte er sein Studium von 1951 bis 1953 in Dresden an der Hochschule für Bildende Künste bei Eugen Hoffmann und Walter Arnold fort. Von 1954 bis 1958 war er Meisterschüler bei Gustav Seitz an der Akademie der Künste in Berlin. Zu den Meisterschülern dieser Zeit gehörten u. a. Manfred Böttcher und Harald Metzkes, mit denen ihn eine lebenslange Freundschaft verband, aber auch der Maler Ernst Schroeder. Nach dem Ende der Meisterschülerzeit war Stötzer vor allem freischaffender Künstler.
1974 arbeitete er an der Umsetzung des Films ?Der nackte Mann auf dem Sportplatz? von Konrad Wolf mit.
Werner Stötzer war auch lehrend tätig. So 1975 bis 1978 als Gastdozent an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee. Von 1987 bis 1990 hatte er eine Professur mit künstlerischer Lehrtätigkeit an der Akademie der Künste der DDR inne. Ab 1978 war er ordentliches Mitglied und von 1990 bis 1993 Vizepräsident der Akademie der Künste. Dort wurde er selbst zum Mentor zahlreicher Künstler. Zu seinen Meisterschülern an der Akademie der Künste gehörten u. a. die Bildhauer Horst Engelhardt, Berndt Wilde und Joachim Böttcher, von 1989 - 1992 der Maler und Bühnenbildner Mark Lammert.
Nach Wohnungen und Ateliers in Berlin und Vilmnitz (Gemeinde Putbus) auf Rügen bewohnte er von 1980 bis zu seinem Tod zusammen mit seiner Frau, der Bildhauerin Sylvia Hagen, ein ehemaliges Pfarrhaus in Altlangsow am Randes Oderbruchs.
Studienreisen führten ihn unter anderem nach China (1957), die Sowjetunion (1958), die Tschechoslowakei (1955), Ungarn, Österreich (1957), Polen und in die Schweiz.
AUSZEICHNUNGEN
: 1962 Will-Lammert-Preis der Deutschen Akademie der Künste in Berlin (Ost).
: 1975 Käthe-Kollwitz-Preis der Deutschen Akademie der Künste in Berlin (Ost).
: 1977 und 1986 Nationalpreis der DDR
: 1994 Ernst-Rietschel-Kunstpreis für Bildhauerei
: 2008 Brandenburgischer Kunstpreis
: 2009 Ehrenbürgerwürde der Stadt Seelow
AUSSTELLUNGEN (AUSWAHL)
: 1960 Berlin, Staatliche Museen zu Berlin, Nationalgalerie
: 1963 Magdeburg, Kulturhistorisches Museum (zusammen mit Gerhard Kettner)
: 1964 Altenburg, Greifswald, Stralsund, Erfurt
: 1965 Wien, Galerie "ZB" (zusammen mit Gerhard Kettner)
: 1970 Potsdam
: 1972 Leipzig, Dresden
: 1979 Rostock, Galerie am Boulevard
: 1982 Ravensburg
: 1986 Bremen, Gerhard-Marcks-Haus
: 1995 Zürich, World Trade Center
: 1996 Lago Maggiore, Via Gambarone
: 1998 Frankfurt am Main, Galerie Schwind
: 1999 Duisburg, Wilhelm Lehmbruck Museum
: 2000 Düsseldorf, Galerie Beethovenstraße
: 2001 Berlin, Galerie Leo Coppi
: 2003 Frankfurt am Main, Galerie Schwind
: 2004 Bremen, Sich dem Stein stellen, Gerhard-Marcks-Haus
: 2005 Dresden, Galerie Beyer
: 2005 Leipzig, Galerie Schwind
: 2006 Berlin, Akademie der Künste (Berlin), Märkische Steine
: 2006 Berlin, Galerie LEO.COPPI
: 2009 Frankfurt am Main, Galerie Schwind
WERKE (AUSWAHL)
: 1956 Sitzender Junge, Bronze
: 1959/60 Fragen eines lesenden Arbeiters und Lesender Arbeiter im Hof des Staatsbibliothek zu Berlin, Unter den Linden, Bronzerelief
: 1963 Porträt Gerhard Kettner, Bronzebüste
: 1965 Trauernde Frauen, Marmor-Relief
: 1966-1968 Bronzetür für das Kloster Unser Lieben Frauen, Magdeburg
: 1967 Babi Jar, Relief und Lithografie
: 1970 Entwurf Bronzetür für die Thomaskirche in Erfurt
: 1972 Auschwitzgruppe, Marmor
: 1980 Bühnenbild und Masken zu Electra am Deutschen Theater Berlin
: 1981 Große Sitzende
: 1982-84 Saale und Werra
: 1985-86 Marmor-Reliefwand Alte Welt für das Marx-Engels-Forum in Berlin-Mitte
: 1986?87 Mutter und Kind
: 1988 Zigeunerin von Marzahn
: 1995 Torso (für Eberhard Roters)
: 1996 Fliehende
: 1996 Undine
: 2002 Liegende
(Quelle: de.Wikipedia.org)