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Käthe Kollwitz, 1958

Seitz, Gustav

Entlang der beiden, durch die mächtige Bronzeplastik verbundenen, Künstlerbiografien und der Geschichte des Werkes selbst ließen sich über einhundert Jahre deutsche Kulturgeschichte nacherzählen. Beginnend mit dem sozialkritischen Grafikzyklus, den die Kollwitz Ende des 19. Jahrhunderts zum 48er Aufstand der Schlesischen Weber schuf, könnte der "Schwaben-Streit" in Berlins Prenzlauer Berg ein vorläufiges, vielleicht nicht auf den ersten Blick adäquates, Ende darstellen. Der erste Guss des Denkmals, das auf dem dortigen Kollwitzplatz bereits 1960 aufgestellt worden war, ist Anfang 2013 wohl eher zufällig Opfer eines "Spätzle-Anschlags" und einer entsprechenden Gegenaktion geworden. Ernster sozialpolitischer Kern der Spaß-Aktionen ist die durch Modernisierung und die daraus resultierenden rapiden Mietsteigerungen vonstattengehende Verdrängung großer Teile der alteingesessenen Bevölkerung seit den 1990er Jahren.

Für die exponierte Aufstellung direkt vor dem Westflügel des heutigen Kunstmuseums, der nach dem Zweiten Weltkrieg neu und verändert aufgebaut worden war, sind freilich andere kultur- bzw. kunsthistorische Hintergründe beachtenswert. So gerieten sowohl Seitz als auch die 1945 verstorbene Kollwitz in die ideologisch hoch aufgeladenen, Ende der 1940er Jahre verstärkt einsetzenden kulturpolitischen Auseinandersetzungen. In Ostdeutschland bzw. der DDR wandten sich diese gegen den Formalismus, was im Grunde die gesamte Klassische Moderne - zeitweise auch das Werk der Kollwitz - unter Verdikt stellte. Mit den ideologischen Implikationen der Vorkriegs-Avantgarde wiederum mochte auch der Westen nichts anfangen. Ganz dem Vorurteil der östlichen Ideologie folgend, wollte er diese Kunst im Wirtschaftswunderland Bundesrepublik vor allem als von Inhalten gereinigtes, ästhetisches Ereignis genießen. Diese Haltung präferierte den Anschluss an die abstrakten Spielarten der insbesondere von den USA ausgehenden, internationalen Nachkriegsmoderne. Gegenständliche Kunst, wie Seitz sie pflegte, galt weithin als reaktionär.

Auch politisch missliebiges Verhalten von Künstlern konnte unter solchen Umständen schwerwiegende Folgen haben. Als Seitz 1949 in Weimar den Nationalpreis der DDR annahm, hagelte es lediglich heftige Kritik in den westlichen Medien. Als er jedoch ein Jahr später auch noch der im Osten Berlins gegründeten Akademie der Künste beitrat, bedeutete das die - vorab durch Stadtrat May angedrohte - Entlassung aus seinen Charlottenburger Lehrämtern. Doch ließ Seitz sich von keiner Seite instrumentalisieren. Zwar siedelte er 1958 nach Hamburg über, blieb aber korrespondierendes Mitglied der Ost-Berliner Akademie. Seine Schüler und Kollegen hielten ihm die Treue und er blieb weiterhin an Ausstellungen in der DDR beteiligt. Die offizielle Kunstgeschichtsschreibung jedoch diffamierte sein nach dem Weggang in den Westen entstandenes Werk als ein in seinem "humanistischen Grundgehalt" untergrabenes. (Ulrich Kuhirt, 1982) Erst anlässlich seines 80. Geburtstages waren auch seine späten Arbeiten im Osten wieder in zwei großen Personalausstellungen zu sehen. Der sich darin manifestierende Kurswechsel ermöglichte 1988 auch den Zweitguss des Käthe-Kollwitz-Denkmals als repräsentatives Hauptwerk einer Institution, mit der sich das bereits auflösende Staatsgebilde DDR kulturpolitisch ein letztes Mal als eigenständige sozialistische Nation zu imaginieren versuchte. Um der Stadt Magdeburg einen Zweitguss zu ermöglichen, hatte Gustav Seitz nach einer Ausstellung das Gipsmodell für die Bronze schon 1958 dem Kulturhistorischen Museum als Leihgabe überlassen.

Der "Ausdruck des Selbstverständlichen, sozusagen Natürlichen" stand für Seitz nach seinen eigenen Worten in seiner Kunst immer gegen das bloß Äußerliche, das Modische, Formgesetz und

"geistige Substanz" vor artistischer "Perfektion und Sensation". Zeichnerische Vorstudien zum Kollwitz-Denkmal zeigen eine blockhafte, aus großen Einzelflächen zusammengesetzte Figur. Der unvergessene Lothar Lang hat in einem in der Weltbühne anlässlich von Seitz' Tod erschienenen Artikel dann gültig darauf hingewiesen, dass der Bildhauer, "das individuell Einmalige der Kollwitz [gleichsam] aus dem Figurenblock heraus" entwickelt habe, und zwar "ohne den sanften Rhythmus der großgegliederten Volumen zu stören". Dieser große, raumbildende, unprätentiös stille, durch den schwebenden Saum des Gewandes zugleich merkwürdig leicht anmutende Körper ist folgerichtig ein Pol der Faszination, die von dieser Figur bis heute ausstrahlt. Die bei aller Simplizität intensiv und sichtbar durchgearbeitete Oberfläche lässt dabei in keinem Moment Illusionismus aufkommen. Alles ist gemacht und stellt dar. Während die Linke sichernd auf der Zeichenmappe ruht, blieb die rechte "Künstlerhand" in vielen Vorzeichnungen und in zwei kleineren Entwurfsfassungen verborgen hinter dem Rücken. Wie sie jetzt in der Schoßmulde liegt, erscheint sie merkwürdig unzugehörig, unsichtbar wund, möchte man fast sagen. Die Furche, die Arm und Körper oberhalb trennt, gleicht einem aufklappenden Schnitt ins Material, nicht einem Faltenknick im Stoff, und unterstützt diesen Eindruck.

Der fransige Rand dieses Schnitts schließlich wiederholt sich am Halsausschnitt und an den Augenlidern. Diese vom Gesehenen, so könnte man sagen, gleichsam verwundeten Lider, das schrundig wunde, doch offene Antlitz, bilden den anderen, den individuellen Pol der Figur. Noch während Seitz daran arbeitete und den Ausdruck des Kopfes noch einmal gänzlich veränderte, machte ein Freund ihn darauf aufmerksam, dass in diesem Gesicht nicht nur die Kollwitz, sondern auch andere, von ihm porträtierte Frauen und nicht zuletzt er selbst zu erkennen seien. Seitz hat dieses Urteil gefreut.

Über den Künstler

Gustav Seitz (geboren 11. September 1906 in Mannheim-Neckarau; gestorben 26. Oktober 1969 in Hamburg) war ein deutscher Bildhauer und Zeichner.

LEBEN

Gustav Seitz wurde 1906 in Neckarau bei Mannheim als Sohn eines Putzer- und Stuckateurmeisters geboren. Er absolvierte von 1912 bis 1921 eine Volksschulausbildung und ab 1922 eine Putzerlehre auf dem Bau. Dabei kam es zu ersten Berührung mit bildender Kunst durch Besuche der Mannheimer Kunsthalle. Von 1922 bis 1924 erhielt er eine Ausbildung zum Steinmetzen und Steinbildhauer bei dem Bildhauer August Dursy in Ludwigshafen und nahm Zeichenunterricht in der Gewerbeschule Mannheim bis zur Gesellenprüfung als Bildhauer.

Seitz studierte anschließend von 1924 bis 1925 bei Georg Schreyögg an der Landeskunstschule Karlsruhe. Von 1925 bis 1932 war er bei Ludwig Gies (1887-1966) und Dietrich an den Vereinigten Staatsschulen für Freie und Angewandte Kunst (heute Universität der Künste Berlin). Ab 1928 war er Meisterschüler von Wilhelm Gerstel und 1933 bis 1938 bei Hugo Lederer (1871-1940) an der Berliner Akademie der Künste. Sein Schaffen war in der Nazi-Zeit behindert. Er war von 1940 bis 1945 Soldat.

1946 bis 1950 war er Professor an der TU Berlin. 1950 bis 1958 war er Mitglied der Akademie der Künste der DDR und Leiter eines Meisterateliers. 1949 erhielt den Nationalpreis der DDR III Klasse für das Mahnmal für die Opfer des Faschismus in Berlin-Weißensee. Als er den Nationalpreis der DDR in der Zeit des Kalten Krieges entgegennahm und Mitglied der Akademie der Künste zu Berlin (Ost) wurde, suspendierte man ihn von der Lehrtätigkeit an der Hochschule für bildende Künste und erteilte ihm mit sofortiger Wirkung Hausverbot. Dasselbe widerfuhr ihm an der Technischen Hochschule. 1950 zog er in den Ostteil Berlins um. Ab 1958 lebte er in Hamburg.

Ab 1950 wurde er Nachfolger von Edwin Scharff (1887-1955) an der Hochschule für bildende Künste Hamburg. Er stellte u. a. auf der documenta II (1959), der documenta III (1964) in Kassel und auf der Biennale di Venezia (1968) in (Venedig/ Italien)aus.

WERK

Das Werk von Seitz ist durch weiblichen Akt, Porträts (u. a. von Bertolt Brecht, Ernst Bloch, Thomas und Heinrich Mann) und Zeichnungen, gelegentlich auch Reliefs, gekennzeichnet. Das Motiv der hockenden Frau hat er häufig variiert. Sein Bemühen lag in der Erstellung von realistischer Plastik, die teilweise Humor mit ausdrückt. Er hat auch selbst Publikationen verfasst.

: Hockende (1927)

: Wäscherin (1928)

: Eva (1947)

: Schreitende (1949) Bronze, 165 cm

: Weiblicher Torso (1955) Bronze, 20 cm

: Käthe Kollwitz (1958), 215 cm

: Kniende Negerin (1961) Bronze, 54 cm

: Große Marina (1962) Bronze, 148 × 138 cm

: Flensburger Venus (1963) Bronze, im Mannheimer Herzogenriedpark

: Geschlagener Catcher (1963/1966) Bronze, 198 cm

: Junge ruhende Sappho (1964/1965)

: Jungfrauenbrünnlein (1969) Bronze 20,5 × 33 × 33 cm

VERÖFFENTLICHUNGEN

: Eine Granitplastik entsteht. Berlin 1954.

: Skulpturen und Zeichnungen. Dresden 1955.

: Porträtplastik im 20. Jahrhundert. Wiesbaden 1958.

: Bildhauerzeichnungen. Frankfurt am Main 1970.

NACHLASS

Der schriftliche Nachlass liegt im Deutschen Kunstarchiv im Germanischen Nationalmuseum. In Hamburg gibt es eine ihm gewidmete Gustav Seitz Stiftung.

In Mannheim-Neuhermsheim ist eine Straße nach ihm benannt. In Hamburg-Steilshoop ist der Gustav - Seitz - Weg nach ihm benannt.

(Quelle: Wikipedia, freie Enzyklopädie)