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Vertschaupet II, 1979/1980

Hutter, Schang

In einem Gespräch, das 1987 mit Schang Hutter geführt wurde, meinte der Künstler lapidar, dass er zwar Bildhauerei studiert habe, jedoch "in erster Linie nicht bildhauern, sondern etwas aussagen" wolle. Seine Studienzeit in München hatte ihn politisiert und hoch sensibel gemacht für die zwischenmenschliche Barbarei unserer Zeit, die er zunächst vor allem mit den Geschehnissen des Zweiten Weltkrieges und dem Holocaust verband. Es brauchte dann aber noch mehrere Jahre, ehe Hutter einen Ansatzpunkt fand, wie er mit diesen Dingen, die ihn existentiell bedrängten, künstlerisch umgehen konnte. Hutter fand diesen Ansatz schließlich merkwürdiger Weise in einem aus einem Frauenporträt entwickelten "fixen Köpfchen", wie er es nannte, dessen hervorstechende Charakteristika sein Grinsen und die spitze Nase waren. Da jedoch der Körper, auf dem dieser Kopf saß, nicht den Bedürfnissen Hutters entsprach, entschied er sich kurzerhand, "den Kopf zum statischen Fixpunkt der ganzen Figur" zu machen und dem einsamen Kopf "einen [passenderen] Körper [zu] erfinden". Den hing er dann, wie er sich selbst ausdrückte, unter dem Kopf dergestalt ein, dass es so schien, als ob er "keinen richtigen Kontakt zur Bodenfläche" finden könne. Die Assoziation an eine Marionette liegt nahe. Entsprechend genügte ein gleichsam notdürftiger Körper - brettartig und später nur noch Brett, weil durch Bretter dargestellt - wie er seitdem für die Figuren des Schweizers typisch ist. Die Arme sind am Anfang nur angedeutet. Bald aber klappen sie, aus Leisten gefertigt, winklig aus diesem Körper heraus und durchfahren - überlängt und gerade oder grazil und gebogen - zuweilen ganze Werkhallen. Schang Hutter selbst nennt seine Figuren "Menschenzeichen" oder auch "Figurenzeichen". Da es sich im Grunde um die Variation und Entwicklung einer Figur handelt, bezeichnet er sie auch als "meine Figur", die in dieser Einzahl für den Künstler sogar sein Selbstbildnis darstellt, etwa als "Arlecchino im Kostüm".

In der Tatsache, dass es sich bei den Figuren, die Hutter in Vertschauped zueinander in ein Verhältnis setzt, im Grunde um verschiedene Zustände einer Figur handelt, gründet sich der ideelle Angelpunkt der Arbeit. Zertretene und Geschlagene, die sie, dem Titel entsprechend, darstellen, scheinen sie, marionettenhaft fremdgesteuert, einander, das heißt sich selbst, nicht helfen zu können. Die überlängten Arme staken in die Leere und sind unfähig einander, und das heißt abermals sich selbst, zu berühren und zu begreifen. Die skurrilen Posen, in denen sie einander, und das heißt wieder sich selbst, fremd sind, wirken komisch und tragisch zugleich. Die Burleske, die sie in sechsfacher Einzahl hier aufführen, scheint ein absurder, in einer Endlosschleife laufender Totentanz, begleitet von groteskem, blödem Gekicher und larmoyantem Gejammer.

Über den Künstler

Schang (eigentlich: Jean Albert) Hutter (* 11. August 1934 in Solothurn) ist ein schweizer Bildhauer.

LEBEN

Von 1950 bis 1954 machte er eine Lehre im elterlichen Steinmetzbetrieb und besuchte daneben die Kunstgewerbeschule in Bern. 1954 zog er nach München und studierte dort u. a. bei Charles Crodel und Josef Henselmann bis 1961 an der Akademie der Bildenden Künste. 1961 zog er nach Solothurn. 1969/70 folgte ein Aufenthalt in Warschau.

1982 bis 1985 lebte er in Hamburg und 1985 bis 1987 in Berlin. Darauf zog er ins schweizerische Hessigkofen. Zusammen mit den Berner Architekten Ueli Schweizer und Walter Hunziker und dem Berner Landschaftsarchitekten Franz Vogel gestaltete er eine 1994 abgeschlossene Erweiterung des Friedhofs Bümpliz.

Am 28. Februar 1998 stellte Hutter im Rahmen eines Skulpturenweges zum 200. Jubiläum der Helvetik vor dem Bundeshaus in Bern seine Eisenplastik Shoah auf. Weil er dies drei Meter neben dem ursprünglich vereinbarten Standort tat, wurde sie in einer Nacht-und-Nebel-Aktion am 4. März 1998 von der Freiheits-Partei der Schweiz abtransportiert und vor die Werkstatt des Künstlers gebracht, worauf eine heftige öffentliche Debatte begann. Die Skulptur wurde danach in Zürich, Basel, Aarau, Solothurn und Glarus ausgestellt und steht heute in Langenthal.

Seit 1999 lebt Hutter in Genua. Permanent ausgestellt sind seine Werke in einer alten Fabrikhalle in Huttwil und auf dem Gelände eines Fabrikareals in Langenthal BE. 2005 erscheinen in der Kunstrevue TROU Nr. 15 (Verlag: Association TROU Revue d'art, CH-2740 Moutier) bisher unveröffentlichte Arbeiten von Schang Hutter sowie sein Text "Shoah II" in Deutsch und auch Französisch übersetzt.

WERKE (AUSWAHL)

: Vertschaupet II in Magdeburg, 1979/80

: Shoah, Langenthal

(Quelle: de.Wikipedia.org)