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Magdeburger Reiter (Kopie), 1966

Apel, Heinrich

Was die Perspektive des Bürgers gegenüber dem Magdeburger Reiter betrifft, der gern als Otto I. identifiziert wird, so ist es noch immer die des entschiedenen Aufblickens, möglichst aus gebührlicher Entfernung. Nur aus der Gerichtslaube des dem heutigen Barockbau vorangegangenen gotischen Rathauses konnte man ihm vermutlich halbwegs in Augenhöhe begegnen. Heute ist das vom Balkon des Rathauses aus möglich, wobei die gesamte Architektur spätestens seit der Spätgotik auf einem etwas höheren Postament stand und den vier Pfeilern des Unterbaus die Figuren von vier Kurfürsten vorgestellt waren. Auf einem Foto aus dem Jahr 1957 sind sie noch zu sehen. Man verzichtete auf sie, als man nach der Restaurierung des in den Kriegsjahren bis auf die Tragarchitektur abgebauten Originals in den 1960er Jahren daranging, das alte Wahrzeichen auch am ursprünglichen Standort wieder aufzurichten.

Die heutige goldene Fassung haben der Reiter und seine Begleiterinnen erst nach dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik erhalten, was einer gewissen Ironie nicht entbehrt. Historisch könnte sie wie der Beiname Goldener Reiter aus dem Barock stammen, als 1651 auch der gotische Baldachin in Entsprechung zum neu erbauten Rathaus durch den bis heute existierenden ersetzt worden ist. Gänzlich steinsichtig, wie die Figuren des Originals, die 1961 ihren Platz im Kulturhistorischen Museum fanden, sind die mittelalterlichen Skulpturen jedoch nicht gewesen. Während der Restaurierung durch Fritz Maenicke und Heinrich Apel um 1960 wurden mittelalterliche Farbreste von Blau, Rot, Grün und auch Gold gefunden. Der Kunsthistoriker Otto von Simson nimmt dementsprechend eine Farbigkeit an, wie sie in der mittelalterlichen deutschen Plastik üblich war und folgt einer weiteren Überlieferung, nach der das Pferd weiß gewesen sein könnte. Plausibel ist das, weil das weiße Pferd schon für die Kaiser der römischen Antike, in deren Tradition das deutsche Kaisertum sich begriff, als Herrschaftssymbol galt. Auch sollte man - nach Otto von Simson - nicht wie üblich von einem Reiterstandbild, sondern von einer Reitersäule sprechen. Damit wäre seiner Meinung nicht nur die Architektur und der ihr fest implementierte Reiter selbst, sondern auch der ikonographische Zusammenhang, in dem das Ganze steht, korrekter beschrieben. Namentlich sieht er die enge Beziehung zur Säule als Rechtssinnbild des germanischen Altertums.

Folgt man dieser Argumentation, und es spricht vieles dafür, ist der kunsthistorische Vorsprung, den man immer wieder gegenüber dem als Vorbild der Magdeburger Arbeit geltenden älteren, künstlerisch bedeutsameren Bamberger Reiter ins Feld geführt hat, allerdings dahin, nämlich der Rang, das erste freistehende Reiterstandbild auf deutschem Boden zu sein. Weit bedeutsamer ist ohnehin die einzigartige Stellung, die der Magdeburger Reiter als Rechtssymbol besitzt, woraus sich im Übrigen auch die künstlerischen Ziele herleiteten, die dem Magdeburger Meister gesetzt waren. Man vermutet, dass er seinen Auftrag Auseinandersetzungen zwischen Erzbischof und Bürgerschaft verdankte, die 1238 in einem bewaffneten Aufstand gipfelten. In Magdeburg erhielten derartige Konflikte ein besonderes Gewicht, weil die Stadt Sitz des so genannten Schöffenstuhls war, der zentralen Rechtsinstanz der mit dem Magdeburger Recht belehnten Städte, einer Stadtrechtsfamilie, die sich während des Mittelalters zu einer der bedeutendsten ihrer Art in Europa entwickeln sollte. Der kaiserliche Reiter auf dem Marktplatz wäre dann als Vergegenwärtigung der höchsten Gesetzeskraft im Reich deutbar, die Magdeburg seinen Aufstieg zur mittelalterlichen Metropole überhaupt erst möglich gemacht hatte.

Wenn der Erzbischof mit der Aufstellung der Reitersäule eine Demonstration seiner eigenen, im vom Kaiser verliehenen Macht verbinden wollte, so hat er das auf besonders kluge Weise und vermutlich im Einverständnis mit der Stadt getan. Sieht man von den kaiserlichen Insignien ab, wird auf jede laute imperatorische Geste verzichtet. In doppeltem Sinn ist es ein Moment des Anhaltens, des Ausgleichs, der Balance, der uns hier vorgeführt wird. Der Reiter neigt seinen Kopf ebenso wie sein Pferd, beide übrigens unmerkbar leicht in entgegengesetzte Richtung verkippt. Um zum Stehen zu kommen, müssen beide in harmonischem, einverständlichem Gleichgewicht sein. Während der Reiter mit der Linken den Zügel anzieht, senkt er die Rechte nach vorn, auch das eine entgegengesetzte Bewegung. Otto von Simson hat die Haltung der rechten Hand als befehlende Gebärde gedeutet. Man könnte sie jedoch ebenso und gerade mit Hinblick auf die besondere Situation Magdeburgs als Gesetz gebend bezeichnen. Im Übrigen resultiert diese Geste aus einer nach vorn gesenkten Schwurhand, die auf halber Höhe auch eine segnende Hand sein kann.

Die weiblichen Begleitfiguren nehmen die Bewegungen des Reiters kontrapunktisch auf, kaum merklich sich straffend die Lanzenträgerin, indessen diejenige, die das demonstrativ auf dem Boden abgesetzte und zur Seite gekippte Wappenschild hält, sich entgegen der Bewegung der kaiserlichen Hand etwas nach außen hin öffnet.

Die Aufgabe, die dem Magdeburger Meister gestellt wurde, bestand offenbar nicht darin, eine konkrete Herrscherpersönlichkeit darzustellen, sondern ein Ideal von Herrschaft, von Rechtsgewalt respektive Rechtsverhältnis. Er löste sie bildhauerisch als Problem des figürlichen Gleichgewichts. Eine Individualisierung der Form, deren Fehlen ihm verschiedentlich als Mangel attestiert worden ist, wäre dem abträglich gewesen. Höchste Konzentration, eine von keiner zufälligen Gemütsbewegung gestörte Balance eines Moments, das ist die Leistung dieses großen anonymen Meisters aus der Magdeburger Dombauhütte.

Über den Künstler

Heinrich Apel (* 5. Mai 1935 in Schwaneberg (Börde), Sachsen-Anhalt) ist ein in Magdeburg lebender Künstler und Bildhauer.

Von 1953 bis 1959 studierte er an der Kunsthochschule Burg Giebichenstein bei Gustav Weidanz.

Seit 1959 ist er in Magdeburg tätig, unter anderem mit baugebundenen Arbeiten wie Bronzetüren, Brunnen, Standbilder, mit Collagen, Textilien, Medaillen, Kleinplastiken und Bildern sowie Restaurierungsarbeiten an den Domen Magdeburg, Halberstadt, Stendal, an der Stiftskirche Quedlinburg und beim Wiederaufbau des Magdeburger Reiters.

WERKE

­­: Dom zu Magdeburg, Türklinkengestaltungen 1962-64:Urteil des Paris/Eule/Vögel am Nest

: Faunbrunnen (oder Teufelsbrunnen) in der Leiterstraße in Magdeburg

: Eingangstüren des Klosters unser Lieben Frauen in Magdeburg

: Eingangsportal der Johanniskirche in Magdeburg

: Bronzeplatten am Rathaus Magdeburg

: Eulenspiegelbrunnen in Magdeburg

: Lenné-Büste im Klosterbergegarten in Magdeburg

: Eingangstüren vom Kreuzgang zum Vorraum des Domschatzgewölbes und zum Domschatzgewölbe im Naumburger Dom

: Handläufe der Franziskustreppe und der Paradiestreppe im Naumburger Dom

: Taufbecken in der St.-Thomas-Kirche in Pretzien

: Plastik des Hofnarren Fröhlich in Dresden am Neustädter Markt

: Plastik für den Eike-von-Repgow-Preis der Stadt Magdeburg

: Nietzsche-Denkmal auf dem Holzmarkt in Naumburg

: Salzwedel Lorenzkirche: Türklinke Martyrium des Hl. Laurentius auf dem Feuerrost

: Die Rettungstat des Hauptmann Igor Belikow in Magdeburg

Weitere Werke stehen in Berlin, Dresden, Halle, Frankfurt (Oder), Bernburg, Salzwedel, Egeln, Worms und Klostermannsfeld.

(Quelle: de.Wikipedia.org)