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Raub der Sabinerinnen, 1985

Göbel, Bernd

Wie bedeutsam nicht nur der ästhetische Rahmen des gebauten Stadtraums, sondern auch die darin akkumulierte historische Erfahrung und der aktuelle Diskurs für Kunst an öffentlichen Orten ist, lässt sich immer wieder bemerken.

Die Figurengruppe von Bernd Göbels Raub der Sabinerinnen stand unweit des Doms am Breiten Weg ursprünglich weitgehend ohne Beziehung vor den hier von der Straße weit abgerückten Wohnblocks in Plattenbauweise. Im nahen Spiegel der Glasfassade des vor einigen Jahren neu erbauten Bankgebäudes, in dem sie sich optisch mehr als in der Wirklichkeit unter die Passanten mischen, scheinen sie erst jetzt zum Leben erweckt worden zu sein.

"Make love not war", dieser Slogan der Hippie-Bewegung, scheint von Anfang an auf den Antikriegsmythos aus der Gründungszeit Roms gepasst zu haben. Hätte man von kulturoffizieller Seite die Arbeit so ausgedeutet, wäre sie vermutlich nie aufgestellt worden. Aber womöglich las man Anderes daraus? Im Licht jüngster Erfahrungen jedenfalls will sich dieser Satz heute wie von selbst zu make love not money variieren, doch das stört niemanden.

Es lohnt sich, die eigentliche Geschichte - viele kennen nur den Titel oder die gleichnamige Komödie von Franz und Paul von Schönthan um den freilich urkomischen Theaterdirektor Striese - nochmals zum tieferen Verständnis zu repetieren. Romulus, Sohn des Kriegsgottes Mars, im Tiber ausgesetzt, von einer Wölfin gesäugt und von einem Hirtenpaar aufgezogen, gründete nach militärischer Besetzung auf dem Berg Palatin die Stadt Rom. Woran es der Stadt mangelte, waren erklärlicherweise Frauen. Das änderte sich nicht dadurch, als Romulus seinen Bruder Remus erschlug, weil der zum Jux die Stadtmauer übersprungen und so die Verletzlichkeit der militärischen Sicherung demonstriert hatte. So lud Romulus die im Umland siedelnden Sabiner zu Spielen ein, während denen er deren unverheirateten Töchter - immerhin! - entführen ließ. In der daraufhin losbrechenden militärischen Auseinandersetzung stellten sich die Sabinerinnen zwischen die Kämpfenden. Was auf den ersten Blick nach Verrat riecht, spiegelt eine komplexe, durchaus ambivalente Situation. Indem die jungen Frauen sich zwischen die Fronten stellten, retteten sie das Leben ihrer militärisch vermutlich weit unterlegenen Väter und Brüder. Zugleich prüften sie ihren "Wert" für ihre neuen römischen Männer und bewahrten sich, was nicht ohne Weiteres abzusehen war, das im Vergleich zum Viehzüchterdasein vermutlich bequemere städtische Leben.

Hier hakt Göbel mit seinem Bildprogramm ein. Er zeigt uns die Entführung in drei Phasen als einvernehmliche, dabei für beide Seiten durchaus problematische, Verführung und versucht das in Haltung und Physiognomie der Figuren psychologisch auszudeuten. Die Entführer - noch in der Anstrengung lässig, abwägend in der Werbung, jedenfalls nicht forsch, sentimental, weinselig in der Hingabe - sind keine Monster, die Frauen - fast gelöst und erleichtert während der Flucht, nachdenklich gegenüber dem zweideutig mit einem goldenen Apfel Werbenden, skeptisch, beobachtend noch im eher braven, kleinbürgerlichen Bacchanal - sind keine Vergewaltigten. Historisch konkret lässt sich die Arbeit Göbels als künstlerischer Kommentar zu den von beiden Seiten politisch funktionalisierten deutsch-deutschen Wanderungsbewegungen der Jahre bis 1989 verstehen. Ohne diesen speziellen Bezug lebt sie vor allem aus der Spannung der verschiedenen Deutungsmöglichkeiten zwischen Mythos und Realität.

Über den Künstler

Bernd Göbel (* 15. Oktober 1942 in Freiberg, Sachsen) ist ein deutscher Bildhauer.

LEBEN

Bernd Göbel macht von 1961 bis 1963 eine Lehre als Holzbildhauer. Danach schließt sich von 1963 bis 1969 ein Studium der Bildhauerei an der Burg Giebichenstein - Hochschule für industrielle Formgestaltung Halle bei Gerhard Lichtenfeld an.

Von 1969 bis 1973 ist er Assistent bei Gerhard Lichtenfeld, ab 1973 Lehrbeauftragter. 1978 erhält Göbel eine Dozentur und wird Leiter der Bildhauerklasse an der Burg Giebichenstein. 1982 wird er zum Professor für Plastik an der Burg Giebichenstein Hochschule für Kunst und Design Halle ernannt und ist seit 1991 auch als Prorektor der Hochschule tätig. Im März 2008 scheidet er aus dem Hochschuldienst aus.

Internationale Anerkennung erfährt Bernd Göbel vor allem als Medailleur: Als erster Deutscher erhält er im Jahr 2000 den Sandford-Saltus-Preis der American Numismatic Society in New York und 2002 den Grand Prix der Fédération Internationale de la Médaille (FIDEM) in Paris.

Weitere Auszeichnungen: 1973 Will-Lammert-Preis Berlin, 1975 Gustav-Weidanz-Preis Halle, 1984 Kunstpreis der DDR, 1988 Kunstpreis des FDGB, 1998 Ernst-Rietschel-Preis Pulsnitz.

1987 wird Göbel Mitglied der FIDEM und im Jahr 2000 Ehrenmitglied der ANS (American Numismatic Society).

Seine bekanntesten Arbeiten im öffentlichen Raum:

: Fortuna-Brunnen in Freiberg (Sachsen)

: Denkmal des jungen Johann Sebastian Bach auf dem Marktplatz von Arnstadt (1982/1984),

: Denkmal für Bertolt Brecht auf dem Rathausplatz in Dessau (1976/1981),

: die Unzeitgemäßen Zeitgenossen, auch Beginn einer Reihe, in der Grimmaischen Straße in Leipzig (1986/1989)

: Göbel-Brunnen in Halle

: Denkmal für den Versicherungsgründer Ernst-Wilhelm Arnoldi auf dem Arnoldiplatz in Gotha, aufgrund seiner umstrittenen künstlerischen Darstellung mit angespannt-krummem Rücken im Volksmund als Buckliger verspottet (1991)

: der Göbel-Brunnen auf dem Hallmarkt in Halle: Thema ist die Stadtgeschichte von Halle. Die Darstellung Kardinal Albrechts mit seiner Mätresse sorgte bereits vor der der Aufstellung 1998 für heftige Diskussionen

(Quelle: de.Wikipedia.org)